„Let’s talk about Recht“: Was junge Menschen bewegt
Digitale Kommunikation, gerechte Bildung oder der Schutz von marginalisierten Gruppen: Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der „Jungen Verfassungsgespräche“ gibt es viel zu diskutieren. Wir haben sie bei der Vorbereitung getroffen.
Sollte die Versammlungsfreiheit während einer Pandemie eingeschränkt werden, und dürfen Mädchen im Jungschor mitsingen? Darüber spricht Joel mit seinen Sitznachbarinnen, während er in einer Miniaturausgabe des Grundgesetzes blättert. Joel nimmt an einem Workshop teil, der ihn auf die „Jungen Verfassungsgespräche“ im August vorbereitet. Vor ihm liegen Zettel und Stifte in Neonorange, um das Für und Wider aufzuschreiben. Das Ziel: Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit oder das Recht auf Gleichheit genau unter die Lupe nehmen und abwägen, wo ihre Grenzen liegen.
Dazu eingeladen haben ihn die Stiftung Forum Recht und der Karlsruher Stadtjugendausschuss. Joel ist einer von knapp 15 jungen Menschen, die bei den „Jungen Verfassungsgesprächen“ mitmachen und am 10. August auf einer Bühne auf dem Karlsruher Marktplatz sitzen. Die Jugendlichen diskutieren dort mit Menschen aus der Justiz. Unter anderem stehen eine Polizeipräsidentin, ein Bundesverfassungsrichter und ein Generalbundesanwalt Rede und Antwort. Sie hören aber auch zu, was junge Menschen wie Joel in Bezug auf die Demokratie, den Rechtsstaat und das Grundgesetz bewegt.
Bei Joel ist das vor allem das Erstarken rechter Parteien in Deutschland und Europa. „Der Zuwachs an Stimmen für die AfD in Deutschland macht mir Angst“, sagt er. Der Student engagiert sich ehrenamtlich bei SIMAMA, einem Verein, der sich für eine gerechte gesellschaftliche Teilhabe von Migrantinnen und Migranten einsetzt. Bei den „Jungen Verfassungsgesprächen“ will Joel diskutieren, „wie Menschen mit Migrationshintergrund, die Diskriminierung erfahren, besser geschützt und unterstützt werden können“, sagt der 25-Jährige.
Gute Gespräche über das Grundgesetz
Angeleitet vom Läuten einer Glocke, wechseln die Jugendlichen beim Workshop alle 15 Minuten ihren Sitzplatz. An insgesamt sechs Stationen feilen sie gemeinsam an Argumenten und stellen Fragen, die einzelne Grundgesetzartikel ihnen aufgeben, an Juristinnen. Sie lernen ihre Gesprächspartnerinnen und -partner kennen und erörtern, inwieweit die Grundgesetzartikel zu ihrer Lebensrealität passen – frei nach dem Motto „Let’s talk about Recht“.
„Ich will Spaß haben und ein gutes Gespräch führen“, sagt Luca mit Blick auf ihr „Junges Verfassungsgespräch“ im August. Sie macht gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr und ist Teil des Karlsruher Chaos Computer Clubs. „Aber vor allem will ich mich mit Personen aus der Justiz unterhalten, für die die Arbeit mit dem Grundgesetz alltäglich ist, und ihnen meine Fragen, Wünsche und Kritik mitgeben“, sagt Luca. Zusammen mit Constantin und Nick, die auch im Club sind, beschäftigt sie sich mit Themen rund um Privatsphäre und Sicherheit, zum Beispiel mit der Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen. Für die drei Jugendlichen spielen aber auch die Rechte in Bezug auf digitale Kommunikation eine große Rolle – etwa die Verschlüsselung von Chats. Ein Thema, das im Grundgesetz so explizit gar nicht vorkommt. „Deshalb frage ich mich, wie wir als Gesellschaft das Grundgesetz weiterentwickeln können und müssen“, sagt Luca.
Diese Menschen sprechen über ihre Rechte
Am Vorbereitungstreffen der „Jungen Verfassungsgespräche“ nehmen junge Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen teil. Viele von ihnen haben über Vereine und Arbeitgeber von dem Gesprächsformat erfahren. Mit dabei sind Mitglieder des Deutschsprachigen Muslimkreises Karlsruhe, eine Gruppe junger Menschen, die sich für die Rechte von LGBTQIA+-Communitys einsetzt, Jugendliche des Vereins SIMAMA, Luca, Nick und Constantin vom Chaos Computer Club, eine Gruppe dual Studierender von dm-drogerie markt und eine Schulklasse, die den zugehörigen „ZEIT für die Schule“-Wettbewerb gewonnen hat.
Mehr zu den „Jungen Verfassungsgesprächen“ und den Vertreterinnen und Vertretern aus dem Bereich der Justiz gibt es hier.
Auch sechs Jugendliche des Deutschsprachigen Muslimkreises Karlsruhe nehmen am Workshop teil. Welches Thema sie mit auf die Bühne bringen, das wussten sie zu Beginn noch nicht so richtig: „Wir haben uns unterschiedliche Artikel angeschaut“, erklärt eine Mitarbeiterin des Muslimkreises, die fünf Jugendliche ihres Vereins zum Vorbereitungsworkshop begleitet. „Und wir alle haben sie unterschiedlich gelesen“, sagt sie am Stehtisch zu der Juristin, die die Gruppe berät.
Wie schwierig manche Artikel zu verstehen sind und dass sie viel Interpretationsspielraum zulassen – auch das besprechen die Jugendlichen vor Ort. Am Ende finden die Teilnehmerinnen des Deutschsprachigen Muslimkreises aber ein Thema, das alle besonders beschäftigt: ihr Recht auf Bildung. „Wir gehen alle zur Schule, deswegen passt das Thema zu unserem Alltag“, sagt Teilnehmerin Aia. Denn sie beobachtet einen großen Lehrkräftemangel und eine Zunahme von Lehrkräften, die fachfremd unterrichten. Teilnehmerin Shahd wünscht sich außerdem mehr Unterstützung für Schülerinnen und Schüler, die Deutsch als Zweitsprache sprechen – „damit beim Abitur alle dieselben Chancen haben“, sagt die 19-Jährige. Über ihre Wünsche für das Schulsystem und die Gestaltung des Rechts auf Bildung wollen die beiden am liebsten mit dem ehemaligen Generalbundesanwalt, Peter Frank, auf der Bühne in Karlsruhe diskutieren.
Aia und Shahd sind begeistert von der Chance, ihre Themen mit Juristinnen und Juristen besprechen zu können. „So eine Gelegenheit bekommt man nicht häufig, und wir sammeln dadurch viel Erfahrung“, sagt Aia. Aber aufgeregt sind die beiden auch. Umso mehr beruhigt es sie, dass vor dem großen Auftritt noch ein Rhetorik-Workshop ansteht, der die jungen Menschen auf die Gespräche vorbereitet und ihnen die Aufregung nimmt. Gut so – denn dass die jungen Menschen etwas zu besprechen haben, das wird an diesem Workshoptag ganz klar.