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Teilhabe

Sollen Kinder und Jugendliche die Zukunft mitgestalten dürfen?

Demokratie funktioniert nur generationenübergreifend. Denn wenn schon Kinder und Jugendliche in politische Prozesse einbezogen werden, entwickeln sie ein Verständnis für unsere Demokratie. Und gestalten sie mit.

 © Getty Images

 

Fühlen, denken, handeln – wir müssen Demokratie im Alltag leben und stärker denn je verankern. Besonders bei Kindern und Jugendlichen, die noch zu jung sind, um wählen zu dürfen, wird oft eine Trennlinie gezogen. Dabei sollte doch genau bei ihnen verstärkt angesetzt werden: Wie können wir bei jungen Menschen ein Verständnis dafür wecken, was es bedeutet, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben? Schließlich sind Jugendliche und Kinder die Entscheiderinnen und Entscheider von morgen.
 
Der Stadtjugendausschuss in Karlsruhe setzt hier an. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die aktive Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an demokratischen Prozessen zu fördern. So soll ein demokratisches und verantwortungsvolles Miteinander entstehen. „Wir glauben an Selbstwirksamkeit. Das heißt: Kinder und Jugendliche, die früh erfahren, was es bedeutet, sich einzubringen und die eigene Meinung auszudrücken, empfinden mehr Selbstwirksamkeit. Sie tendieren später weniger dazu – und das belegt auch die Wissenschaft – demokratiefeindliche Parteien zu wählen und sich starke Führungspersonen zu wünschen“, so Daniel Melchien, Geschäftsführer des Stadtjugendausschusses.
 


„Der Anfang ist echte Beteiligung“


 
Im besten Fall können Kinder und Jugendliche bereits von klein an selbstbestimmt oder mit der Hilfe anderer die Gemeinschaft stärken. Sie engagieren sich in der Schule, gestalten einen Jugendverband mit oder entwickeln ein politisches Verständnis über ihre Eltern. Kinder und Jugendliche, die frühzeitig in partizipative Prozesse involviert sind, haben ein besseres Gefühl für demokratische Werte. Sie wissen mit Meinungsfreiheit, Toleranz und Kompromissbereitschaft umzugehen und können so auch wichtige Fähigkeiten wie Kommunikation, Teamfähigkeit und kritisches Denken erlernen. Sie verstehen, dass sie die Welt mitgestalten können.
 
Doch nicht immer sind die Chancen für alle Kinder und Jugendlichen gleich. Sie sollten daher unabhängig von ihrer Bildungs- und Lebensbiografie in diesem Bereich unterstützt werden. „Der Anfang ist echte Beteiligung: Kinder und Jugendliche klar einzubinden und am Ende auch ihrer Stimme Gewicht zu geben. Sonst führt das zu großer Frustration und treibt sie weiter weg von der Gemeinschaft“, so Melchien.


 
Wo kommen junge Menschen mit Demokratie in Berührung?


 
Marcel Seekircher betreut die Stelle „Partnerschaft für Demokratie“ beim Stadtjugendausschuss Karlsruhe. Er ordnet Demokratiebildung ein und prüft dabei, welche Möglichkeiten wir nutzen sollten, um Kinder und Jugendliche aus allen Bevölkerungsgruppen zu erreichen – auch außerhalb von Bildungsinstitutionen. Seekirchers Stelle wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. In Deutschland gibt es rund 300 solcher Stellen, die auf kommunaler Ebene verantwortlich für die Demokratieförderung sind.
 

„Kinder und Jugendliche, die früh erfahren, was es bedeutet, sich einzubringen und die eigene Meinung auszudrücken, empfinden mehr Selbstwirksamkeit. Sie tendieren später weniger dazu – und das belegt auch die Wissenschaft – demokratiefeindliche Parteien zu wählen“
Daniel Melchien, Geschäftsführer Stadtjugendausschuss Karlsruhe


 
In der Schule werden bereits viele demokratische Prozesse gelehrt. Die außerschulische Jugendbildung hingegen konzentriert sich auf Werte, Haltungen und Rechte. Also: Was verbinde ich persönlich mit Demokratie? Seekircher betont, wie wichtig es sei, Jugendliche über ihre Möglichkeiten zur Mitgestaltung aufzuklären – besonders Gruppen, die noch kein demokratisches Selbstbild haben. Hier spielen zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure eine große Rolle, also beispielsweise Selbstorganisationen von Menschen mit verschiedenen religiösen oder LGBTQ-Hintergründen. Sie können ihr Wissen vermitteln, junge Menschen beraten und so auch dabei helfen, diese Gruppe besser verstehen zu lernen. Entscheiderinnen und Entscheider wie Marcel Seekircher können daran wieder anknüpfen und weitere Ideen für Kinder entwickeln.


 
Die Zukunft ist formbar


 
Wie viel Spaß Jugendliche an „Demokratie leben“ haben, hat auch das Format „Junge Verfassungsgespräche“ gezeigt. Es fand 2019 zum 70. Jubiläum des Grundgesetzes in Karlsruhe statt. Mit dabei waren Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichtes, Kommunalpolitikerinnen und -politiker sowie andere Entscheiderinnen und Entscheider. Diese Veranstaltung gab Jugendlichen die Möglichkeit, ihre Anliegen vorzutragen und mit Vertreterinnen und Vertretern demokratischer Institutionen zu diskutieren. Dieses Beispiel zeigt, wie Kommunikation und Transparenz das Vertrauen in Institutionen stärken können. „Das war toll. Wir werden daher die Jungen Verfassungsgespräche dieses Jahr am 10. August in Karlsruhe wiederholen“, so Seekircher.
 
Wenn wir Kindern und Jugendlichen mehr auf Augenhöhe begegnen, gehen wir auch mit unserer Demokratiebildung in die richtige Richtung. Ihre Fragen und Anliegen müssen gehört werden. Und sie brauchen Menschen, die ihnen helfen, die Welt zu reflektieren und verstehen zu lernen, um sie mit ihren Werten zu bereichern. Dazu gehört auch die Medienbildung. Kinder wachsen mit dem Internet auf. Sie müssen lernen, kritisch mit Informationen umzugehen, Fake News zu erkennen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Auch das hilft dabei, demokratische Werte zu vermitteln.
 
Auf die Zukunft unserer Demokratie blicken Melchien und Seekircher trotz der jüngsten EU-Wahlergebnisse positiv. „Kinder und Jugendliche haben erfahrungsgemäß kein gefestigt extremistisches Weltbild. Das macht es möglich, mit geeigneten pädagogischen Methoden präventiv tätig zu werden“, sagt Seekircher. Eine generelle Offenheit und Flexibilität zeige sich auch im Wahlverhalten junger Menschen, das sich von Wahl zu Wahl stark ändern könne. „Im Gegensatz zu der Gesamtbevölkerung, bei der Veränderungen langsamer stattfinden“, so Seekircher. Im Austausch bleiben – das ist wohl am Ende das Fundament einer starken Demokratie.

 

Zu den Personen:

Daniel Melchien ist Geschäftsführer des Stadtjugendausschuss Karlsruhe e.V. (stja), dem Dachverband der Karlsruher Jugendverbände und Träger der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Neben Melchien gibt es eine ehrenamtliche Führungsspitze und knapp 250 hauptamtliche Fachkräfte – die Kinder und Jugendliche in demokratische Prozesse miteinbeziehen. Zum Beispiel: Marcel Seekircher. Er betreut die Stelle „Partnerschaft für Demokratie“ beim Stadtjugendausschuss. Diese Stelle widmet sich der Jugendbeteiligung und der präventiven Arbeit im Bereich Diskriminierung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

 

 

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