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Dialog über den Rechtsstaat

Was wünscht sich die Jugend von der Verfassung?

Bei den „Jungen Verfassungsgesprächen“ treten Jugendliche mit Vertreterinnen und Vertretern der Justiz in den Dialog. Was erhoffen sich die Initiatorinnen und Initiatoren davon? Ein Interview

 © Getty Images

 

 

Junge Menschen sprechen mit Richterinnen, Staatsanwälten oder Polizistinnen über die Themen, die sie interessieren – das ist die Idee hinter den „Jungen Verfassungsgesprächen“. Die Stiftung Forum Recht hat in Kooperation mit dem Stadtjugendausschuss e. V. Karlsruhe ein Format geschaffen, welches genau das jetzt möglich macht. Am 10. August 2024 finden „Junge Verfassungsgespräche“ in Karlsruhe statt. Kathrin Schön, Programmkuratorin und -leiterin bei der Stiftung Forum Recht, weiß, warum diese Gespräche nötig sind.

 

Junge Menschen im Dialog mit der Justiz

Am 10. August 2024 treffen junge Menschen ab 14 Jahren auf Vertreterinnen und Vertreter der Justiz in Deutschland. Die jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten sich dafür bewerben. Auf dem Karlsruher Marktplatz diskutieren sie über ihre Zukunft – und für die braucht es zeitgemäße Grundrechte. Eine Projektphase bereitet die jungen Menschen auf die Gespräche vor: Im Rahmen mehrerer Vorbereitungstreffen setzen sich die Diskutantinnen und Diskutanten mit diesem Thema auseinander und bereiten sich so auf die Gespräche vor.


 
Frau Schön, was sind die „Jungen Verfassungsgespräche“?


 
Kathrin Schön: Die „Jungen Verfassungsgespräche“ sind ein öffentliches Gesprächsformat, das Jugendliche und junge Erwachsene mit Vertreterinnen und Vertretern der Justiz zusammenbringt. Dabei geht es uns einerseits darum, jungen Menschen einen Rahmen zu bieten, in dem sie ins Nachdenken über ihre Rechte und deren Einforderung kommen. Darüber hinaus wollen wir sie aber auch mit den Menschen ins Gespräch bringen, die aktuell die Rechtsprechung in Deutschland gestalten, also mit Richterinnen und Richtern. Aber auch mit Staatsanwältinnen, Polizisten und Angehörigen des Justizvollzugs – denn das sind die Personen, die in ihrem beruflichen Alltag mit ihren Entscheidungen für die Einhaltung der rechtsstaatlichen Prinzipien des Grundgesetzes Sorge tragen.


 
Was macht das Format so besonders?


 
Die „Jungen Verfassungsgespräche“ richten sich an junge Menschen. Uns interessiert nämlich vor allem ihre Perspektive und ihre Gedanken zum Grundgesetz. Gleichzeitig wollen wir mit den „Jungen Verfassungsgesprächen“ Grundrechte wirklich erfahrbar machen und zeigen, was es bedeutet, nach diesem rechtlichen, aber auch moralischen Kompass zu handeln. Und wir wollen mit dem Format prüfen, wo es Veränderungsbedarf gibt. Nicht umsonst steht das Format dieses Jahr unter dem Motto „Grundrechte für die Zukunft“.


 
Sie haben die junge Zielgruppe angesprochen. Warum legen Sie bei dem Projekt den Fokus auf die Jugendlichen?

 
 
Wenn wir über Zukunft sprechen wollen, sollten wir das mit denjenigen tun, die in dieser Zukunft leben werden, aber den kleinsten Gestaltungsspielraum haben. Jugendliche haben in der gesellschaftspolitischen Gemengelage im Moment eben noch keine besonders große Lobby. Zusätzlich wollen wir einen außerschulischen Raum schaffen, in dem sich junge Menschen mit genau diesem Thema auseinandersetzen können. Einen Ort, an dem die Frage diskutiert wird: Was hat das Grundgesetz mit meiner Zukunft zu tun?


 
Wie wollen Sie es denn schaffen, in dem Projekt genau das zu vermitteln?


 
Die Lebensrealitäten der Jugendlichen sind unser Ausgangspunkt. In Vorbereitung auf das öffentliche Gespräch fragen wir sie, welche Grundgesetzartikel ihr Leben aktuell beeinflussen und was bestimmte Artikel bei ihnen auslösen. Oder ob sie in ihrem Alltag Erfahrungen gemacht haben, die sie mit einem besonderen Grundrecht in Verbindung bringen. Und ob unsere Grundrechte aus ihrer Sicht eigentlich vollständig sind. So kommen wir in mehreren Schritten in einen Reflexionsprozess, der sicherlich nicht mit den „Jungen Verfassungsgesprächen“ am 10. August abgeschlossen sein wird – aber das ist auch nicht unser Ziel. 


 
Welches Ziel verfolgen denn die „Jungen Verfassungsgespräche“ langfristig?


 
Wir wollen, dass sich Jugendliche durch diese Erfahrung darin bestärkt fühlen, weiter laut über die Grundpfeiler unseres demokratischen Rechtsstaats nachzudenken, dass sie ihre Erwartungen an ihn aussprechen und sich im Anschluss sogar gezielt engagieren und ihre Erwartungen in die Tat umsetzen – weil sie nun wissen, welche Prozesse auch sie in Gang setzen können. Die „Jungen Verfassungsgespräche“ sind also ein Format gegen das Gefühl der Ohnmacht.


 
Sie haben eben von einem Veränderungsbedarf gesprochen, den es möglicherweise bei den Grundrechten geben könnte. Wo zeigt sich denn dieser für Jugendliche besonders?

Zur Person
Kathrin Schön ist Programmkuratorin und leitet die Abteilung „Programm und Veranstaltungen“ der Stiftung Forum Recht in Karlsruhe. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Stiftung sowie des Stadtjugendausschusses Karlsruhe e. V. hat sie das Konzept der diesjährigen „Jungen Verfassungsgespräche“ entwickelt und ist gespannt, welche Grundrechte am 10. August auf der Bühne diskutiert werden.

 

In den Vorgesprächen mit den Jugendlichen haben sich verschiedene Themen abgezeichnet, bei denen sie Veränderungsbedarf sehen. Da ging es zum Beispiel ganz allgemein um den Zugang zu Recht, einen beobachteten Widerspruch mit Blick auf das Gleichheitsversprechen aller Menschen in Artikel 3 oder aber auch Artikel 20a des Grundgesetzes. Dieser behandelt den Natur- und Umweltschutz und formuliert, dass Umweltschutz ein Staatsziel ist. Aber reicht das aus? Oder braucht die Natur eigene subjektive Rechte, also solche, die auch wir als Menschen haben? Das würde ein radikales Umdenken in ganz vielen Verfahren erforderlich machen. Aber vielleicht ist auch genau das der wirksame Hebel, den es braucht, um diesem Thema mehr Gewicht zu verleihen. Einem Thema, für das viele junge Menschen seit Jahren freitags auf die Straße gehen. Wie realistisch das ist, das steht auf einem anderen Blatt. Aber das wird vermutlich ein Aspekt sein, der bei den „Jungen Verfassungsgesprächen“ diskutiert werden wird.


 
Es gibt ja noch einen weiteren Aspekt der „Jungen Verfassungsgespräche“: Auch die Staatsanwältinnen und Verfassungsrichter könnten eine Menge lernen, oder?


 
Auf jeden Fall. Für Angehörige der Justiz kann es motivierend und auch inspirierend sein, junge Menschen zu treffen, die sich Gedanken über ihre Grundrechte und den Rechtsstaat machen. Gleichzeitig bekommen sie wertvolle Einblicke in deren Lebensrealität. Sie erhalten womöglich Antworten auf Fragen wie: Was erwarten junge Menschen vom deutschen Rechtssystem? Als wie zugänglich empfinden sie die Artikel des Grundgesetzes? Was müsste passieren, um die Versprechen, die die Verfassung macht, im Alltag einzulösen oder zumindest greifbar zu machen? Braucht es vielleicht mehr Vermittlungs- und Öffentlichkeitsarbeit, auch vonseiten der Gerichte und Staatsanwaltschaften, damit alle noch besser verstehen, was diese Institutionen für uns alle leisten?


 
Wenn junge Menschen mit berufserfahrenen Richterinnen und Staatsanwälten sprechen, gibt es ein natürliches Machtgefälle: jung und alt, erfahren und unerfahren. Wie stellen Sie sicher, dass die Gespräche auf Augenhöhe stattfinden können?


 
Hier sei vorweggesagt: Auch junge Menschen sind Expertinnen und Experten, und zwar für ihre Anliegen. Aber wir sehen diese Herausforderung und überlegen gerade, wie sich die Gesprächssituation noch weiter auflockern lässt. Wir hoffen, dass wir das zum einen durch eine gute Auswahl der Expertinnen und Experten gewährleisten können. Zusätzlich wird es aber auch einen Vorbereitungsworkshop geben, in dem wir mit den Jugendlichen zu ihren Themen inhaltlich arbeiten und ihnen zusätzlich ein paar rhetorische Kniffe und Tipps gegen die Aufregung auf der Bühne mitgeben können.


Aber schlussendlich wollen bei dem Format alle Teilnehmenden doch das Gleiche: gemeinsam über die Zukunft dieses Landes und seine Verfassung nachdenken. Und jede und jeder auf dem Podium wird aus ihrer oder seiner Perspektive darüber sprechen können, was sie oder er für Möglichkeiten hat, diese Zukunft für alle fair und gemäß dem Versprechen unserer Verfassung zu gestalten.


 
Miteinander ins Gespräch zu kommen, ist also der erste Schritt für positive Veränderung – auch auf Justizebene?


 
Ja. Eine lebendige Verfassungskultur lebt von einer Gesprächskultur, in der wir nach den Regeln, die wir uns gegeben haben, fair, wertschätzend, aber nicht weniger ambitioniert über das sprechen, was uns als Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zusammenhalten soll. Am Ende ist die Demokratie die Staatsform, die wir uns gegeben haben, um unsere Verfassung und ihre Werte zu leben und in die Tat umzusetzen. Und wenn wir diese Erkenntnis und Verantwortung im Rahmen des Projektes vermitteln können, dann haben wir viel geschafft.

 

 
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