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EXPERTIN FÜR KLIMAFOLGENFORSCHUNG IM INTERVIEW

„Armutsbekämpfung ohne Klimaschutz funktioniert nicht“

Für diesen Artikel ist SOS-Kinderdörfer weltweit verantwortlich.

Überschwemmungen, Stürme und extreme Dürren – die Auswirkungen der Klimaveränderungen treffen vor allem ärmere Regionen im Globalen Süden. Die Gefahr: Besonders Kinder und Familien, die schon heute unter Armut leiden, werden die Folgen der Klimakrise besonders spüren.

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Die Folgen des Klimawandels sind in den ärmsten Regionen der Welt am stärksten zu spüren. (Bild: SOS-Kinderdörfer weltweit / Michela Morosini)

Wir haben mit der Wissenschaftlerin Dr. Kira Vinke darüber gesprochen, wie der Klimawandel zu Flucht und Armut weltweit beiträgt und was wir tun können, um ihn noch aufzuhalten. Die Projektleiterin des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung berät neben ihrer Forschungstätigkeit die SOS-Kinderdörfer weltweit in Klimafragen.

Was genau hat der Klimawandel derzeit und in Zukunft mit Armut zu tun?

Der Klimawandel entzieht ganzen Bevölkerungsgruppen die Lebensgrundlage und vergrößert Armut um ein Vielfaches. Deswegen kann Armutsbekämpfung ohne Klimaschutz nicht funktionieren. Ich höre immer wieder, dass Klimaschutz und Entwicklungsarbeit sich widersprechen. Dabei ist es offensichtlich, dass ohne Klimaschutz alle Entwicklungsfortschritte ins Nichts laufen werden.

Wir haben schon viele Warnsignale ignoriert, inzwischen ist kaum zu übersehen, wie stark Klimafolgen die menschliche Entwicklung beeinträchtigen können. 2019 forschte ich auf der Karibikinsel Barbuda, die vollständig evakuiert wurde, nachdem ein extremer Sturm dort alles zerstört hatte. Zwei Jahre nach diesem Sturm sah es so aus, als ob erst gestern die Katastrophe geschehen wäre. Ein großer Teil der Häuser war nicht wiederaufgebaut. Die Bevölkerung hatte weiterhin kein fließendes Wasser, Stromausfälle waren an der Tagesordnung. Auch wenn diese Extremereignisse, die aufgrund des Klimawandels zunehmen, aus den Nachrichten verschwunden sind, haben sie beunruhigende langfristige Wirkungen. Länder und einzelne Regionen können in ihrer Entwicklung drastisch zurückgeworfen werden.

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Dr. Kira Vinke, Projektleiterin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (Bild: privat)

Was hat der Klimawandel mit Familien und Kindern zu tun?

Kinder könnten im Laufe ihres Lebens enorm von Klimafolgen betroffen sein. Millionen Kinder werden in Not geraten, wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten. Man sieht auch an der Corona-Pandemie, dass die äußeren Bedingungen ganz stark auf das Familienleben einwirken. Wenn wir einen großen Schock erleben, potenziert das Konflikte innerhalb der Familie. Es gibt Stress, den es sonst nicht gegeben hätte.

Insofern muss man auch den Klimawandel als eine Bedrohung ansehen, die das Familienleben verschlechtern kann. Wenn eine Familie unter einem extremen Sturm oder unter Dürre leidet, dann betreffen die Auswirkungen auch das Gefüge in der Familie selbst: die Paarbeziehung der Eltern, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Wir sind in unserer Kernfamilie nicht völlig isoliert vom naturräumlichen Geschehen. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass wir alle, auch wenn wir vielleicht selbst keine Landwirtschaft betreiben, trotzdem auf eine funktionierende Umwelt angewiesen sind. Globale Brüche können auch unsere Kernfamilie treffen.

Die globale Klimakrise kann uns also in der Kernfamilie treffen – etwa, wenn wir fliehen müssen.

Für Migration und Flucht gibt es natürlich viele Ursachen, gewaltsame Konflikte, Armut, politische Unterdrückung. Existenzbedrohende Klimafolgen können auch zum Treiber von Migration werden. So zum Beispiel im Süden Bangladeschs, wo viele Menschen aufgrund von tropischen Zyklonen aus den ländlichen Gebieten in die Städte ziehen müssen. Oder im Pazifik, wo der steigende Meeresspiegel ganze Inselstaaten bedroht.

Wenn viel mehr Menschen Zuflucht in anderen Ländern suchen – fällt das letztendlich auch auf uns in Deutschland zurück?

Es ist generell im Interesse der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, dass globale Emissionsminderung betrieben wird, weil letztlich auch unsere Sicherheit davon abhängt. Zum einen können wir auch in Deutschland von Extremwettereignissen betroffen sein, zum anderen haben Konflikte in anderen Ländern grenzüberschreitende Auswirkungen. Nehmen wir das Beispiel Syrien. Da gab es eine extreme Dürre, die den Protesten vorangegangen ist. Diese Dürre hat zu Binnenmigration, also Vertreibung, geführt. Verlorene Lebensgrundlagen kumulierten mit der Frustration durch politische Repression. Das endete in Protesten, die dann wiederum blutig niedergeschlagen wurden. Die Entwicklung eines Bürgerkrieges hat natürlich auch Konsequenzen für die Bundesrepublik. Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist die Flüchtlingskrise 2015.

Vielleicht ist die Frage ein wenig utopisch, aber wie können wir die Welt besser und gerechter machen?

Da gibt es viele Punkte, die ich nennen könnte. Die Umsetzung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs - Sustainable Development Goals) zum Beispiel. Das wäre schon mal ein großer Schritt. Und wir müssen versuchen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu bewahren. Ich denke, gerade in Zeiten von Hasskommentaren und Hetze im Internet ist es wichtig, dass man versucht, gemeinsam an Problemen zu arbeiten, anstatt immer weitere Gräben aufzureißen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Die SOS-Kinderdörfer weltweit setzen sich für den Schutz von Familien und vor allem von Kindern ein, die besonders vom Klimawandel betroffen sind. Hilfe zur Selbsthilfe ist dabei zentral: Sie arbeiten gemeinsam mit den Betroffenen vor Ort daran, Lösungen zu finden, sich gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen.

Wenn auch Sie die Arbeit der SOS-Kinderdörfer weltweit unterstützen möchten, finden Sie hier weitere Informationen zur konkreten Arbeit vor Ort.

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