Langfristig denken, kurzfristig handeln – so wird Kalk grün
Ob bei der Aufbereitung von Wasser oder der Herstellung von Stahl: Kalk ist einer unserer wichtigsten heimischen Rohstoffe. Vielseitig einsetzbar, doch CO2-intensiv in der Produktion. Wie man als Hersteller trotzdem nachhaltig arbeiten und klimaneutral werden kann, zeigt das Familienunternehmen SCHAEFER KALK.
Heike Horn und Holger Drescher; Fotos: ©Linda Deutsch
140 Meter tief, rund einen halben Kilometer breit und älter als die Dinosaurier: Die Dimensionen des Merschelbruchs sind im ersten Moment kaum zu fassen. Über eine Fläche von knapp 30 Fußballfeldern erstreckt sich der beeindruckende Kalksteinbruch bei Hahnstätten, eine Autostunde nordwestlich von Frankfurt am Main entfernt. An seinen Rändern winden sich serpentinenartige Straßen hoch zu den Werksanlagen von SCHAEFER KALK. Riesige Schwerlaster transportieren mit einer Ladung mehrere Tonnen des gesprengten Kalksteins. Aus der Ferne wirken sie wie Ameisen.
„Wir bauen Rohstoffe ab, die mehrere 100 Millionen Jahre alt sind, und treffen Entscheidungen, die über Jahrzehnte gerechnet sind“, sagt Heike Horn.
Der gesprengte Kalkstein, das Calciumcarbonat, wird in Brennöfen bei mehr als 1.000 Grad Celsius erhitzt. Es entsteht Calciumoxid, auch Branntkalk genannt. Es sei ein wichtiges Ausgangsmaterial für die Bau-, Stahl, Chemie- und Lebensmittelindustrien, sagt Horn: „Kalk wird zum Beispiel in der Herstellung von Zahnpasta, Fensterrahmen, Papier und Kosmetika oder bei der Aufbereitung von Trinkwasser verwendet.“ Das zweite Produkt der thermischen Zersetzungsreaktion in den Öfen ist Kohlendioxid. Pro Tonne Branntkalk entstehen rund 780 Kilogramm Prozess-CO2. Hinzu kommen die Emissionen aus der Verbrennung der Brennstoffe.
Kalk ist also nicht ohne die Freisetzung von Kohlendioxid zu haben. Gleichzeitig ist unser Alltag ohne Kalk nicht denkbar. Ein Grund, warum Nachhaltigkeit in der Branche schon seit Langem ein Thema sei. Holger Drescher sagt: „2005 startete der Europäische Emissionshandel zur Reduzierung von Treibhausgasen." Davon ist auch die Kalkindustrie seither betroffen. Durch die notwendigen Zertifikate wird der Kalk deutlich teurer. Das ist eine echte Herausforderung“. Drescher ist seit 20 Jahren bei SCHAEFER KALK als technischer Direktor beschäftigt. „Wir haben schon 2010 ein Energiemanagement eingeführt“, sagt er. Die Herstellung von Kalk braucht viel Energie. Jede Maßnahme, die den Verbrauch senkt, macht das Geschäft nachhaltiger und profitabler.
SCHAEFER KALK setzt daher im Werk Hahnstätten auf besonders effiziente Brennöfen, sogenannte Doppelschachtöfen (GGR-Öfen), deren Abwärme genutzt werden kann. Sie sparen rund 60 Prozent Energie ein, verglichen mit Drehrohröfen, wie sie in der Zementindustrie oft genutzt werden. „Wir verbrennen aktuell Erdgas, das unter den fossilen Brennstoffen den geringsten CO2-Ausstoß hat, und Braunkohlenstaub“, sagt Drescher. Im Werk in Steeden hat SCHAEFER KALK damit begonnen, einen Ofen von Braunkohlenstaub auf den regenerativen Brennstoff Holzstaub umzustellen. Dafür sind große Investitionen nötig – und die politische Planungssicherheit, dass der Brennstoff weiter als CO2-neutral anerkannt wird.
Ein zweiter Hebel, um die Kalkproduktion zu dekarbonisieren, ist der Einsatz von regenerativem Strom. SCHAEFER KALK hat am Standort Hahnstätten eine Photovoltaikanlage gebaut. „Damit decken wir bereits mehr als 20 Prozent unseres Bedarfs ab“, erklärt Drescher. Die Anlage steht verteilt auf einer neun Hektar großen Fläche, die von Schafen beweidet wird. Seltene Tier- und Pflanzenarten finden hier weiterhin ein Zuhause. Auch der Steinbruch selbst bietet Lebensraum für viele Arten, unter anderem Uhus und Flussregenpfeifer nisten dort. „Naturschutz und Landschaftspflege sind Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie“, sagt Heike Horn. SCHAEFER KALK wurde vom Bundesverband Mineralische Rohstoffe 2025 für sein Biodiversitätsmanagement zum wiederholten Male mit dem Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet.
„Die Dekarbonisierung unseres Geschäfts haben wir schon lange auf dem Schirm“, erklärt die Geschäftsführerin. „Doch wir denken Nachhaltigkeit von Beginn an auch ganzheitlich“. 2016 veröffentlichte SCHAEFER KALK seine Nachhaltigkeitserklärung zu den ESG-Zielen und beschäftigt inzwischen einen Nachhaltigkeitsmanager ein. Mit der Pflicht zur CSRD-Berichterstattung habe es noch mal einen Schub gegeben, das Thema Nachhaltigkeit systematisch im ganzen Unternehmen zu verankern, sagt Horn: „Dafür haben wir uns Unterstützung von externen Beratern geholt. Wir mussten anfangs viel Überzeugungsarbeit leisten“.
Denn Nachhaltigkeit bedeutet auch Bürokratie und Mehraufwand. Horn erinnert sich: „Wir hatten intensive Runden in hoher Besetzung, in der die Frage kam: ‚Müssen wir das jetzt alles wirklich machen?‘". Denn Kapazitäten, die für die Berichterstattung gebunden sind, fehlen fürs Geschäft – und für die Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsmaßnahmen. „Der Aufbau einer zentralen Dateninfrastruktur ist sehr aufwendig, bringt aber zumindest Transparenz“, sagt Holger Drescher. „Der Erfolg von Maßnahmen wird messbar. Das schafft Akzeptanz“. Heike Horn ergänzt: „Allerdings ist uns die tatsächliche Umsetzung von Maßnahmen wichtiger als die reine Dokumentation, und die Lockerung der CSRD-Berichtspflichten hilft uns, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren.“
Doch wohin mit den Prozessemissionen, die bei der Herstellung von Kalk entstehen? „CCUS ist in unserer Roadmap zur Klimaneutralität der größte Hebel“, sagt Heike Horn. Die Abkürzung steht für Carbon Capture, Utilization and Storage – also für Technologien, mit denen Kohlendioxid aufgefangen, weiterverarbeitet und gespeichert werden kann. Carbon Capture, also die Abscheidung und Speicherung von CO2, ist technisch bereits möglich. Dafür muss das in den Abgasen vorhandene CO2 aufkonzentriert werden. SCHAEFER KALK plant, in fünf bis sieben Jahren einen Brennofen in Betrieb zu nehmen, der dazu in der Lage ist.
Impressionen
Die Nutzung (Utilization) von Kohlendioxid ist komplizierter. Für einige Prozesse in der chemischen Industrie kann CO2 eingesetzt werden, doch nur in geringem Umfang. „Wir binden bereits einen Teil unseres CO2 wieder bei der Herstellung von gefälltem Calciumcarbonat, das als Füllstoff unter anderem in der Papier- und Farbenindustrie eingesetzt wird“, sagt Holger Drescher. „Das Verfahren wurde zwischenzeitlich als Kohlenstoffsenke anerkannt, ist es aber heute nicht mehr – eine politische Entscheidung". Heike Horn wünscht sich von der Politik pragmatischere Diskussionen, die auf dem Weg zur Klimaneutralität auch Teillösungen berücksichtigen. „Mit 70-Prozent-Lösungen haben wir auch schon sehr viel erreicht“, sagt sie. „Dinge tun und nicht nur darüber reden – das ist der wichtigste Erfolgsfaktor der Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit“.
Das S in CCUS steht für Storage, die langfristige Lagerung von CO2. Auch sie ist technisch möglich. Was bisher fehlt, ist die Infrastruktur. „Wir brauchen ein europaweites Pipeline-Netz, mit dem sich große Mengen CO2 abtransportieren lassen. Das ist Aufgabe der Politik“, erklärt der technische Direktor. Planungen gibt es, die ambitioniertesten gehen von einer Fertigstellung im Jahr 2037 aus.
„Wenn wir bei uns technisch alles auf Nachhaltigkeit umrüsten, kommen wir auf Investitionen von 300 Millionen Euro“, sagt Heike Horn – das sei das Zwei- bis Dreifache des Jahresumsatzes. „Das im Wettbewerb umzusetzen, ist eine enorme Herausforderung. Und wir brauchen Planungssicherheit“. Diese ist auch Voraussetzung für die Zusammenarbeit mit Banken, die für SCHAEFER KALK ein wichtiger Partner bei der Transformation sind. Horn sieht großes Potenzial in den CCUS-Technologien, nicht nur für SCHAEFER KALK: „Wenn uns die wettbewerbsfähige Umsetzung gelingt, können wir damit zum Vorreiter für klimafreundliches Wirtschaften werden".
Ein letzter Blick über den Merschelbruch bei Hahnstätten: Erdgeschichte trifft hier auf Hightech, unternehmerisches Risiko auf politische Debatten. Und zwischendrin brüten Flussregenpfeifer. Man möchte denken: Wenn es möglich ist, die energie- und CO2-intensive Kalkherstellung Schritt für Schritt grün zu machen, dann sollte Klimaneutralität allgemein machbar sein. Mit langem Atem und klarer Roadmap.
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