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So wird ESG zum Business Case

„Nachhaltige Transformation darf kein Selbstzweck sein“

Die europäischen Berichterstattungspflichten für Nachhaltigkeit waren für viele Mittelständler ein Schreckgespenst: zu komplex, bürokratisch und teuer. Anfang des Jahres hat die EU reagiert: Mit dem sogenannten „Omnibus“-Papier sind 80 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen voraussichtlich wieder von der CSRD-Berichtspflicht ausgenommen. Eine Entlastung? Ja, doch Nachhaltigkeit betrifft auch die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft.

Jan-Marten Krebs ist Vorstand der Sustainable AG Unternehmensberatung und berät mit rund 140 Mitarbeitenden Unternehmen seit Jahren bei ihrem Weg zu einer nachhaltigeren Organisation. Im Gespräch verdeutlicht er: Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Thema für Prüfberichte. Es geht um strategische Klarheit und um die Frage, wie aus ESG ein guter Business Case werden kann.

Jan-Marten Krebs; Foto: Jan Greune

 

Herr Krebs, viele Mittelständler haben ESG längst auf ihrer Agenda. Was sind typische Hürden, die sie im Transformationsprozess hin zu einem nachhaltigen Unternehmen nehmen müssen?

Die größte Hürde ist das fehlende Commitment im Management. Die meisten Unternehmen sagen erst mal: „Wir wollen weiter das tun, was wir schon immer getan haben.“ So fällt das Thema Nachhaltigkeit oft hinten runter. Dabei sorgen Investitionen in Nachhaltigkeit dafür, dass Unternehmen auch morgen noch am Markt bestehen können. Für Entscheider:innen ist das bei den aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheiten eine große Herausforderung. Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden, Und oft ist Nachhaltigkeit nicht das oberste Investitionsziel – mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen eine Fehleinschätzung. Was die Entscheidung zu investieren zusätzlich erschwert, sind fehlende belastbare Daten zur eigenen Nachhaltigkeitsbilanz. 

 

Viele Entscheider:innen trauen sich nicht zu, auf einer unsicheren Informationsbasis in Nachhaltigkeit zu investieren.
Jan-Marten Krebs

 

Die EU hat die ESG-Berichtspflichten für viele Unternehmen zuletzt deutlich entschärft. Was halten Sie davon?

Ich verstehe jedes Unternehmen, das keine Lust auf diese Berichtspflichten hatte. Es war ein bürokratisches Monster mit viel zu hohen Anforderungen an Datenumfang und -qualität. Wenn ich auf die 20 Prozent der weiterhin betroffenen Unternehmen schaue, dann würde ich sagen: Die meisten sind gut vorbereitet. Aber oft sind das keine Mittelständler, sondern große Unternehmen, die schon vorher Berichtspflichten erfüllen mussten. Der klassische Mittelstand dagegen war auf diese Anforderungen in der Regel nicht vorbereitet.

 

 

Was hätten Sie sinnvoller gefunden?

Hätte man mich vor fünf Jahren gefragt, hätte ich gesagt: Unternehmen mit 250 Mitarbeitenden sind keine Konzerne, und die Politik hätte sie von Anfang an stärker entlasten sollen. Man hätte zum Beispiel Standards der Global Reporting Initiative (GRI) nutzen und konsequent weiterentwickeln sollen. So hätte man auf vorhandenen Strukturen aufgebaut, statt neue Parallelwelten zu schaffen – und dies mit Augenmaß für die Unternehmen und die wesentlichen Themen der Nachhaltigkeit. Außerdem halte ich die sogenannte doppelte Wesentlichkeit für alle Unternehmen – egal wie klein oder groß diese sind – für sinnvoll. Sie ist auch Teil der CSRD. Es geht um Perspektiven: Welchen Einfluss hat ein Unternehmen auf Umwelt und Gesellschaft? Und welche Nachhaltigkeitsaspekte wirken von außen auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens? Sobald Unternehmen klar wird, wie sehr Klimarisiken oder Störungen in den Lieferketten ihr Geschäft gefährden, bekommt das Thema ESG plötzlich eine ganz andere Priorität: Unternehmen erkennen, dass sie ihr Geschäftsmodell rechtzeitig gegen solche Risiken schützen können.

Jan-Marten Krebs
Jan-Marten Krebs ist Gründer und Vorstand der Sustainable AG Unternehmensberatung. Er studierte Umwelttechnik an der Hochschule Bremen sowie an der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm. Seit 2001 berät er Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeits- und Klimastrategien.

 

Interessieren sich mittelständische Unternehmen für den sozial nachhaltigen Aspekt, das S in der ESG-Richtlinie?

Die E-Kategorie, also der Umweltaspekt, steht im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit, das ist klar. Aber auch die sozialen Kriterien sind den meisten Unternehmen bekannt. Intern, etwa im Personalbereich, gibt es oft schon gute Prozesse zu Themen wie Weiterbildung oder Diversität. Schwieriger wird es, wenn es um die soziale Verantwortung in der Lieferkette geht. Das ist vielen zu weit weg, doch auch eine Fabrik in China oder Indien birgt ein Reputationsrisiko. Ich finde: Wenn Unternehmen Wertschöpfung outsourcen, dürfen sie die Verantwortung nicht mit auslagern.

 

Sie vermeiden das Wort Change-Projekt. Warum eigentlich?

ESG ist ein Change-Projekt, ich würde es nur nie so nennen. (lacht) Wenn wir unsere Angebote als Change-Projekte bezeichnen, sagen viele Unternehmen: „Nee, Change wollen wir nicht.“ Dabei ist Transformation natürlich genau das: eine Veränderung von Gewohnheiten, von Systemen. Aber wir drehen das Thema lieber positiv und sprechen von Enablement, Kommunikation, Integration. Am Ende geht es um eine Verhaltensänderung im Arbeitsalltag. Und da braucht es Fingerspitzengefühl, gerade in der internen Kommunikation, aber auch in der Ansprache der Unternehmen.

 

Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür, dass ESG nicht nur einen Mehraufwand bedeutet, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist?

Bei einem von uns betreuten Unternehmen haben wir zwei Jahre darum gerungen, absolute Klimaziele festzulegen. Der Widerstand war groß. Aber als der Vorstand das Thema dann mitgetragen hat, stellte sich plötzlich heraus, dass die Ziele viel schneller erreicht werden konnten als gedacht. Das Unternehmen hatte später sogar eine eigene Technologie an der Hand, mit der es den Standort dekarbonisieren konnte. Am Ende hat sich gezeigt, dass die Transformation nicht nur machbar, sondern auch wirtschaftlich attraktiv war: mit Kosteneinsparungen, einem belastbaren Business Case und einem neuen Produkt. Ein Aspekt, der in Zeiten des Fachkräftemangels übrigens oft übersehen wird: Unternehmen, die eine Transformation angehen, haben meist hohes Innovationspotenzial. Mit ihrem Engagement und ihrer Dynamik sind sie auf dem Arbeitsmarkt deutlich interessanter für die Führungskräfte der Zukunft.

 

Wie misst man den Erfolg von Transformation? Was sind sinnvolle KPIs abseits der CO₂-Bilanz?

Zuerst einmal durch den unternehmerischen Erfolg. Denn nachhaltige Transformation darf kein Selbstzweck sein. Ein gutes Beispiel ist Rügenwalder Mühle. Das Unternehmen hat irgendwann angefangen, neben Fleisch auch vegetarische Produkte anzubieten. Transformation lässt sich klar messen: Wie viel Umsatz kommt aus dem vegetarischen Sortiment? Und wie viel noch aus dem klassischen? Am Ende geht es auch um Fragen wie: Reduziere ich Risiken in der Wertschöpfung? Habe ich weniger Ausfälle, geringere Standzeiten? All das gehört für mich zum messbaren Erfolg von Transformationen, genauso wie klassische Nachhaltigkeitskennzahlen, etwa die eingesparten Emissionen in Tonnen CO₂ oder der Wasserverbrauch in Kubikmetern.

 

Welche Rolle spielen Banken bei der grünen Transformation?

Aus meiner Sicht sollte eine gute Bank hier drei Dinge leisten: Sie sollte eine nachhaltige Transformation ermöglichen, Maßnahmen kritisch hinterfragen und Alternativen aufzeigen. Denn Unternehmen brauchen ein Umdenken in den bisherigen Entscheidungskriterien, die stark auf kurzfristige Profitabilität ausgerichtet sind. 

 

Eine Bank kann helfen, den Fokus von Investitionen auf langfristige Stabilität und Resilienz zu legen.
Jan-Marten Krebs

 

Was raten Sie einem mittelständischen Unternehmen, das noch am Anfang seiner Transformation steht?

Zuerst sollte das Unternehmen verstehen, welche Nachhaltigkeitsthemen für das eigene Geschäft wirklich relevant sind, zum Beispiel über eine doppelte Materialitätsanalyse. Meist bleiben am Ende nur zwei bis vier Themen übrig, die eine echte Geschäftsrelevanz haben. Entscheidend ist auch, das richtige Tempo zu wählen, damit die Organisation nicht überfordert wird. Und es braucht Geduld und Proof Cases: Wenn ein Unternehmen sieht, dass erste Schritte wirklich etwas bringen – auch wirtschaftlich –, wächst die Motivation, den Weg in Richtung Nachhaltigkeit weiterzugehen.

 

Erfahren Sie mehr über nachhaltige Lösungen für Unternehmenskund:innen der HypoVereinsbank

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