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BUNDESEINHEITLICHE REGELN BENÖTIGT

Schluss mit Diskriminierung: Warum tut sich Deutschland so schwer?

Von fehlenden Rampen über die Nutzbarkeit digitaler Angebote bis hin zu den Vorbehalten in den Köpfen vieler Mitmenschen: Barrieren gibt es in unserer Gesellschaft nahezu überall. Das bekommen Menschen mit einer Behinderung in ihrem Alltag oft deutlich zu spüren. Die Politik wirkt überfordert, Gesetzesentwürfe scheinen an den Bedürfnissen Betroffener vorbei entwickelt zu werden.

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Menschen mit Behinderung treffen täglich auf Barrieren. (Bild: Pfotenpiloten)

Ein Missstand, gegen den Menschen mit Behinderung und Unterstützer*innen engagiert Petitionen vorantreiben und auch am 5. Mai – dem Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung – wieder für ihre Rechte mobilisieren.

Wie kann es sein, dass in einem strukturell und technologisch hochentwickelten Land wie Deutschland, in dem jede*r zehnte Bürger*in über einen Schwerbehindertenausweis verfügt, noch immer so große Mängel bei Inklusion und Barrierefreiheit herrschen?

Und das, obwohl die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in unserem Grundgesetz seit 1994 verankert ist und die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) von der Bundesrepublik Deutschland bereits im Jahr 2009 anerkannt wurde.

Mit der Unterzeichnung der UN-BRK verpflichtete sich die Bundesrepublik unter anderem dazu, sich regelmäßig einem Prüfverfahren zu stellen. Das Ergebnis der ersten dieser sogenannten Staatenprüfungen veröffentlichte der UN-Fachausschuss im Jahr 2015. Dabei wurde im Prüfbericht unter anderem die Verabschiedung eines Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung von Inklusion im Jahr 2011 positiv erwähnt. Bemängelt wurde hingegen – neben anderen Aspekten – die Uneinheitlichkeit der Aktionspläne in den einzelnen Bundesländern. Außerdem kritisierte der Fachausschuss die Beibehaltung von Doppelstrukturen in den Bereichen Bildung, Wohnen und Arbeit, und sah hier auch beim Thema Barrierefreiheit deutlichen Verbesserungsbedarf. Auch heute – sechs Jahre später – zeigt eine aktuelle Umfrage der Aktion Mensch, dass es in diesen und anderen Lebensbereichen nach wie vor große Missstände beim Thema Barrierefreiheit gibt und Menschen mit Behinderung die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben immer noch nicht möglich ist. So sind etwa Schulsystem und Privatwirtschaft bisher alles andere als barrierefrei, auf politischer Ebene regiert der Föderalismus. Was eigentlich einen Paradigmenwechsel unterstreichen sollte, gleicht für viele Betroffene in der Praxis also noch immer einem frustrierenden Flickenteppich.

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In Deutschland besitzen knapp acht Millionen Menschen einen Schwerbehindertenausweis – aufgrund fehlender Barrierefreiheit sind sie oft auf Unterstützung angewiesen. (Bild: Aktion Mensch / Dominik Buschardt)

Inklusion und Barrierefreiheit – wieso ist die Hemmschwelle hier so groß?

Doch was genau hemmt die Umsetzung von Inklusion und Barrierefreiheit aktuell auf politischer Ebene? Die Tatsache, dass in Deutschland knapp acht Millionen Menschen einen Schwerbehindertenausweis besitzen und wir als Gesellschaft immer älter werden, sollte doch vermuten lassen, dass das Thema in Deutschland eine hohe Priorität hat. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir alle selbst einmal auf Barrierefreiheit angewiesen sein werden, groß. Das Problem ist auch hier: Viele Bundesländer haben ihre eigenen Richtlinien und Maßnahmen. Außerdem gibt es bis heute beispielsweise kein Gesetz, das etwa Unternehmen der Privatwirtschaft zu Barrierefreiheit verpflichtet. Das muss sich ändern – findet auch Domingos de Oliveira. Er ist seit seiner Geburt blind und setzt sich als Accessibility Coach für Inklusion und Barrierefreiheit ein. De Oliveira weiß: Betroffene werden auf politischer Ebene viel zu selten gehört, was dazu führt, dass Gesetze an ihren tatsächlichen Bedürfnissen vorbei entwickelt werden.

„Am meisten wünsche ich mir, dass Betroffene stärker aktiv in die Entscheidungen mit eingebunden werden, damit diese auch die Lebensrealität von Menschen mit einer Behinderung erreichen.“ (Domingos de Oliveira)

Dass es besser geht, zeigen Beispiele aus Europa – wie etwa Großbritannien und Österreich. In Österreich gilt seit 2016 das Gesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen für alle Unternehmen im ganzen Land. Heißt konkret: Alle Waren, Dienstleistungen und Informationen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, müssen barrierefrei angeboten werden.

Vor allem im Bereich der Schulbildung gilt Großbritannien als Vorreiter und setzt sich aktiv für die inklusive Bildung und das gemeinsame Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung ein. Länder, bei denen sich Deutschland einiges abschauen kann, um Inklusion und Barrierefreiheit bundeseinheitlich voranzubringen und allen Menschen die gleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

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Um die eigenen Rechte einfordern zu können, ist es entscheidend, gut informiert zu sein. (Bild: Aktion Mensch / Thilo Schmülgen)

Das eigene Recht einfordern und auch Recht bekommen

Solange die rechtliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in der Praxis noch nicht umfassend umgesetzt ist, müssen Betroffene nach wie vor täglich für die Durchsetzung ihrer Rechte kämpfen. Denn Recht zu haben bedeutet nicht immer, auch Recht zu bekommen. Diese Erfahrung machen Menschen mit Behinderung noch immer viel zu oft. Zum Beispiel, wenn Anträge abgelehnt werden. Oder wenn es um die Anerkennung einer Schwerbehinderung geht. Genau dort setzt die Aktion Mensch an und bietet mit ihrem Inklusionsportal und einem umfassenden Ratgeberangebot Unterstützung. Hier finden Interessierte gebündeltes Wissen über bestehende Rechte und darüber, wie man sie tatsächlich einfordern und durchsetzen kann.

Die gute Nachricht: Wer – notfalls bis vor Gericht – für sein Recht kämpft, hat gute Chancen, zu gewinnen. Und allein ist er oder sie definitiv nicht.

Möchten Sie mehr erfahren? Hier geht es zum Bereich Recht im Inklusionsportal der Aktion Mensch.

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